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CHINA: DIGITAL FÜHREN

MIT Moderne Industrietechnik bietet als mittelständischer Hersteller Industriearmaturen und Systemlösungen sowie Engineering, moderne Fertigung, Service und Wartung aus einer Hand. Produziert wird auch in Wuhan, China. Seit der Pandemie gibt es dorthin nur noch digitalen Kontakt. Geschäftsführer Hans-Dieter Tenhaef erläutert uns, wie das funktioniert.

MIT Beitrag im DMA-Magazin

Hans-Dieter Tenhaef erläutert im VDMA-Magazin, wie der digitale Kontakt zwischen China und Deutschland funktioniert.

Herr Tenhaef, welche Rolle spielt Ihr Standort in Wuhan für Ihr Unternehmen – und hat sich diese Rolle durch die Pandemie verändert?

Als Betrieb mit seinerzeit 50 Beschäf-tigten haben wir dort vor zehn Jahren komplett aus Eigenmitteln mehrere Mil-lionen Euro investiert. So viel zum Stel-lenwert. Die Entscheidung dazu fiel, nachdem drei unserer Großkunden aus der Mineralöl- und Lebensmittelindustrie unabhängig voneinander fragten, ob wir nicht auch in China Teil ihrer Lieferketten werden möchten. Es war klar, dass wir den Schritt allein schon wegen der Kundenbindung gehen mussten. Wir haben uns dann ausführlich über den Standort China informiert und einen logistisch günstigen Standort gesucht. Die Wahl fiel auf Wuhan, weil wir unsere Kundschaft von dort gut erreichen können und über den Jangtse Anbindung an die Seeschifffahrt besteht. Heute zählt Vlotho, unser Sitz in Deutschland, 80 Beschäftigte, am Standort Wuhan sind es 25. Neben der Kundschaft in China beliefern letztere unser Stammwerk in Vlotho mit Vorprodukten. In der Pandemie ist das viel komplizierter. Aber wir haben dort 2021 trotz aller Widrigkeiten ein Rekordergebnis mit beträchtlichem Gewinn erzielt. Flüge nach China sind weiterhin stark eingeschränkt. Wie halten Sie Kontakt? Wir waren im Herbst 2019 das letzte Mal dort. Es gibt kaum Flüge und wer aus Europa anreist, muss wochenlang in Quarantäne. Das ist unzumutbar. Also halten wir digital Kontakt. Um Punkt fünf Uhr in der Frühe starten unsere täglichen Video-konferenzen, die bei Bedarf einige Stun-den dauern können. Wir besprechen jede Anfrage und jedes Projekt bis ins Detail. In Wuhan leitet unsere Finanzverantwortliche die Geschäfte. Sie ist seit Jahren in der Firma und absolut verlässlich. Hier in Deutschland teilen sich die Hauptverantwortlichen für unser Chinageschäft und ein technisch versierter Kollege, der normalerweise mehrmals jährlich nach Wuhan reist, die Verantwortung. Neben den täglichen Webmeetings läuft der Datenaustausch über Cloudservices. Und wichtig: Per Messenger-Dienst WeChat pflegen wir persönliche Kontakte zu den Beschäftigten und zur Kundschaft. Oft senden sie Fotos vom Projektfortschritt. Wenn ich diese auf Chinesisch kommen-tiere, ist die Freude groß. Da fliegen die Emojis nur so hin und her.

Allein damit lässt sich ein Team wahrscheinlich nicht führen. Wie gelingt die digitale Unternehmensführung?

Die klare Definition der Verantwort-lichkeiten ist das A und O. Zudem achten wir auch in Wuhan darauf, dass sich die Beschäftigten wohl fühlen. Wir haben seinerzeit moderne Küchen und Sani-täranlagen eingebaut, sorgen für gut beheizte Räume und tägliches gemeinsames Essen. Wohl auch deshalb haben wir dort praktisch keine Personalfluktuation. Es gab nur einen Fall, in dem  ein hoch ambitionierter Monteur unser Angebot falsch interpretiert hat, bei uns in eine Führungsaufgabe hineinwachsen zu können. Er sah sich fortan als Montageleiter und wollte keinen Schrauben-schlüssel mehr in die Hand nehmen. Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, arbeiten wir seither mit einem chinesisch-stämmigen Unternehmensberater zusammen. Er ist etwa 20 Stunden monatlich für das Team in Wuhan ansprechbar und klinkt sich in die Personalführung und Bewerbungsprozesse ein. Aktuell arbeitet er meist digital. Aber er war zuletzt auch vor Ort, um intensiver mit dem Team zu arbeiten. Das alles kostet Geld, zahlt sich aber in Form hoher Mitarbeitermotivation und Jobzufriedenheit aus.

Solange es glattläuft, mag das funktionieren. Wo stößt die digitale Unternehmensführung an Grenzen?

Echtes Kopfzerbrechen bereiten uns die Lieferkettenprobleme. Das Werk in Wuhan ist für uns ein sehr wichtiger Zulieferer. Da auch Großkunden infolge der Pandemie von Just-in-Time-Lieferketten auf Lagerhaltung umstellen – und ihre Lager dafür füllen – sind unsere Auftragsbücher prall gefüllt. Trotz aller Widrigkeiten gibt es klare Lieferfristen. Das wirft die Frage auf, wie wir unsere Transportketten organisieren. Per Schiff? Auf der Schiene über die neue Seidenstraße? Oder zu horrenden Kosten per Luftfracht? Wir variieren die Transportmittel je nach Auftrag und Lieferfrist und müssen angesichts der rasant steigenden Energie- und Transportkosten haargenau kalkulieren und abwägen. Die Havarie am Suezkanal hat gezeigt, wie sensibel unsere Lieferkette ist. Beim Schienentransport ist mit dem Krieg in der Ukraine ein neuer Unsicherheitsfaktor hinzugekommen. Wir müssen alle Eventualitäten inklusive eines Ausfalls der Seidenstraße einplanen. Die Abstimmung der Lieferketten mit dem Team in Wuhan ist aktuell die schwierigste Aufgabe. 

Ist denn wenigstens der Datenverkehr stabil?

Ja. Die Leitungen sind zuverlässig und der Datentransfer über Cloud-Services ist unproblematisch. Als Anbieter hochspezifischer Systemlösungen arbeiten wir mit deutschen und europäischen Part-nerunternehmen und Forschungsinstituten zusammen, um Hightech-Lösungen voranzutreiben. Internetverbindungen nach China sind meist stabiler als die im Inland.

Wie schützen Sie sensible Konstruktions- und Personaldaten gegen unbefugte Zugriffe?

Wir nutzen handelsübliche Firewalls, Antivirenprogramme sowie Cloud- und Konferenzsysteme. Um im Fall der Fälle handlungsfähig zu bleiben, achten wir auf engmaschige Datensicherung. Wir hatten tatsächlich jüngst einen Cyberangriff. Nach Angabe der Spezialisten, die wir hinzuziehen mussten, kam er aus Deutschland.

China hat eine andere Philosophie, was behördliche Zugriffsrechte auf Daten und IT-Systeme betrifft. Es gibt Pläne, Transfers „wichtiger“ Daten ins Ausland einzuschränken. Beeinflusst das Ihr Handeln?

Konkret hat in China noch keine Behörde bei uns angeklopft. Und ich gehe auch nicht davon aus, dass es passieren wird. Möglicherweise bin ich da blauäugig. Aber ich denke, dass wir als kleines Unternehmen nicht im Fokus der staatlichen Aktivitäten stehen. Wir schulen unsere Beschäftigten, um IT-Security-Risiken im Alltag zu minimieren, halten unsere Software auf dem neuesten Stand – und haben nach dem glimpflich verlaufenen Angriffsversuch eine Cyberversicherung abgeschlossen. Viel mehr können wir als Mittelständler mit rund 100 Beschäftigten kaum leisten. Und ganz ehrlich: Über die Lieferkettenproblematik mache ich mir aktuell deutlich mehr Sorgen.

 

Das Interview ist in der Ausgabe #05/06 Juni 2022 vom VDMA-Magazin erschienen.

Interview: Peter Trechow